Dampf und Nebel auf dem Thunersee
Auf Thuner- und Brienzersee fahren zwei Dampfschiffe, die «Lötschberg» und die «Blümlisalp», im Volksmund «Lötsch» und «Blüemlere» genannt. Und bald kommt ein drittes dazu, das «Spiezerli».
Auf Thuner- und Brienzersee fahren zwei Dampfschiffe, die «Lötschberg» und die «Blümlisalp», im Volksmund «Lötsch» und «Blüemlere» genannt. Und bald kommt ein drittes dazu, das «Spiezerli».
Im Herbst noch wurde geschweisst und geschraubt und gemalt am «Spiezerli», dem neuen alten Dampfschiff auf dem Thunersee. Es hat seit 1901 alle Stile durchgemacht, vom Jugendstil übers Dieselschiff bis zum «Shabby Chic» bei Ende des Betriebs. 1999 war das Schiff für den Weiterbetrieb zu schlecht beieinander, zum Verschrotten zu schade, aber zu schwer beladen mit den kollektiven Erinnerungen vieler Passagiergenerationen.
Nun ist es bereit, das Dampfschiff des 21. Jahrhunderts. Das Interieur ist elegant und intim. Alte Schiffe sind schmal und lang, die rassige Eleganz des Art déco kommt so besonders gut zur Geltung. Faktisch ist es ein neues Schiff in einer alten Hülle, wie Schiffsarchitekt Andreas Kindlimann erklärt. Da mussten wasserdichte Wände verschoben werden, moderne Sicherheitssysteme wurden eingebaut und viel mehr Technik. Früher galt «Aus dem See, in den See», heute gibt es Wasseraufbereitungsanlagen und Abwassersysteme mit Auffangtanks. Die neu entwickelte Dampfmaschine ist durch einen Glasboden und über Bildschirme sichtbar, eine Zweizylindermaschine der Winterthurer Firma DLM AG und ihres Chefingenieurs Roger Waller. Sie wird auch dem «Spiezerli» das geben, was Kapitän Beat Hodel an allen Schiffen so schätzt: einen eigenen Charakter. «Auch wenn man zwei Schiffe exakt gleich baut, sind sie wahrscheinlich völlig unterschiedlich», erzählt er. Ein besonderes Charakterschiff ist die «Blümlisalp», der grosse und letzte Raddampfer auf dem Thunersee, in Dienst gestellt 1906, fünf Jahre nach der «Spiez». Die «Blüemlere» ist anspruchsvoll, zärtlich und zickig, eine grosse alte Diva, die umsorgt werden will. Sie muss sorgfältiger behandelt und genauer gefahren werden als moderne Motorschiffe, verzeiht weniger sowohl auf der Kommandobrücke wie auch im Maschinenraum.
«Das Sprachrohr brauchen wir nicht zum Plaudern»
Mit dem Dampfer fährt Beat Hodel die «Ländten», die Landungsstege, in sehr flachem Winkel an. Wenn nur eine Person ein- oder aussteigen will, dauern An- und Ablegen kaum 20 Sekunden, ein genau choreografierter Tanz mit einem grossen Schiff. Es gehorcht nur bedingt technischen Befehlen. Das Ruder funktioniert hydraulisch, doch die Kommunikation mit dem Maschinenraum ist akustisch. Ein Pfiff mit der Dampfpfeife signalisiert dem wartenden Publikum, dass gleich angelegt wird. Aber auch der Maschinist weiss, dass jetzt ein Manöver folgt und er Putzlappen und Ölkännchen liegen lassen und sofort auf Position zwischen den drei Sprechtrichtern gehen soll. «Rückwärts», sagt Beat Hodel ins Sprachrohr. Die Maschine bremst das Schiff sportlich ab. «Schlag vorwärts», die Schaufelräder machen eine halbe Drehung vorwärts. «Das Sprachrohr brauchen wir nicht zum Plaudern», sagt Beat Hodel. «Dafür haben wir das Bordtelefon. Am Sprachrohr gibt’s nur wenige, genau definierte Kommandos.» Leinen fliegen und treffen die Poller. Das läuft mit Präzision, Routine und weitem Vorausschauen. Die Besatzung agiert wie die Mitglieder einer Balletttruppe, die sich gegenseitig nicht sehen können und trotzdem genau wissen, was die anderen machen. Wenn ein Boot die vom GPS vorgegebene Route kreuzt, wird schon früh der Kurs angepasst, und an Land merkt sich Beat Hodel einzelne Bäume oder Gebäude. Wenn er an jenen «Points of no Return» vorbeifährt und es ist nicht jeder an seinem Platz, bricht er das Manöver ab.
Ein Spektakel bietet auch der See, vor allem dann, wenn das Wetter scheinbar schlecht ist. Dann spielt der See mit den Wolken, das Wasser zeigt alle paar Minuten andere Farben, und der Nebel enthüllt wie der Vorhang im Theater einmal diese Felswand und dann wieder jenes Schloss. Bei solchem Wetter kommt die Belle-Époque-Opulenz des Schiffs viel besser zur Geltung. Nach einer warm eingepackten, nasetriefenden Stunde draussen an Deck ist die Wärme des schwimmenden Palastes doppelt einladend. Es sind die Details, die das Schiff ausmachen, die Türbeschläge, die geschwungenen Formen des Jugendstils, die eleganten kleinen Salons, die auch privat vermietet werden, bei denen ein Kellner kurz klopft, um etwas zu bringen. Und natürlich die Dampfmaschine. Die ölgefüllten Schmiergläser wirbeln und tanzen auf der Maschine, sie lebt und gibt den Rhythmus des Schiffs vor. Dieser Rhythmus überträgt sich aufs Essen, die Möbel, das Geschirr, die Passagiere. Diesen Frühling soll es endlich so weit sein, die «Spiez» wird die ersten Gäste empfangen. Sie wird das erste «Dampfschiff des 21. Jahrhunderts» sein, mit Zicken und Charakter, für Hochzeiten und Geburtstage und vor allem auch für Fahrten an jenen Tagen, an denen das Wetter kalt und windig ist, wenn Nebelfetzen übers Wasser ziehen und der Thunersee am schönsten ist.
Die neu vaporisierte «Spiez» ist im Berner Oberland in illustrer Belle-Époque-Gesellschaft. Neben der «Blümlisalp» betreibt die BLS auf dem Brienzersee den Raddampfer «Lötschberg» von 1914. Der Brienzersee ist rauer und bietet viele Highlights aus den Anfängen des Tourismus. Dazu gehören die Dampfzahnradbahn aufs Brienzer Rothorn und auch das Grandhotel Giessbach. Es gilt als eine der schönsten historischen Hotelanlagen der Schweiz und thront mitten in einem privaten Waldpark hoch über dem See, erschlossen von der ältesten Standseilbahn Europas direkt vom Schiffsteg her. Das Grandhotel ist der ideale Ausgangspunkt, um die Berner Oberländer Belle-Époque-Welt zu erkunden – mit all ihren Schiffen, Standseil- und Zahnradbahnen.