Der dicke Fussabdruck des Homo Touristicus
In den Ferien gönnen wir uns etwas – und werfen in der Karibik alle ökologischen Bedenken über Bord des Kreuzfahrtschiffs.
In den Ferien gönnen wir uns etwas – und werfen in der Karibik alle ökologischen Bedenken über Bord des Kreuzfahrtschiffs.
Ferien sind ein Menschenrecht, und echte Ferien sind weit weg und Instagram-tauglich. Mittlerweile sind jährlich rund 1,3 Milliarden Menschen touristisch unterwegs – und das sind auch nur jene, die für ihre Ferien eine Landesgrenze überqueren. Wer innerhalb des eigenen Landes Ferien macht, wird nicht erfasst.
Diese Urlauberströme haben sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt, vor allem bedingt durch den steigenden Wohlstand in Indien und China. Gestiegen ist damit auch die Umweltbelastung. Monika Bandi Tanner von der Forschungsstelle Tourismus der Universität Bern sagt denn auch, dass auch Leute, die sich im Alltag ökologisch verhalten, bei den Ferien oft ein Auge zudrücken. Denn: Man hat es sich verdient. «Urlaub ist die populärste Form des Glücks», sage dazu die Forschung. Die Frage ist, wie stark dieses Glück zulasten der Umwelt gehen soll. Denn es gibt unterschiedliche Arten Ferien. Jede Person in der Schweiz erzeugt im Schnitt im Jahr 4500 kg CO2. Das ist vergleichsweise wenig und kommt daher, dass unser Strom relativ CO2-arm ist, dass wir im Verhältnis viel Bahn fahren und effizient heizen. Mit grossen Ferien wird dann diese gute Bilanz oft wieder ruiniert. 14 Tage «all-inclusive» in einem Resort in Thailand für zwei Personen emittieren fast so viel Treibhausgas wie eine Person in der Schweiz während eines ganzen Jahres. Noch schlimmer ist nur gerade Heliskiing in Kanada. Aber auch 14 Tage Karibik-Kreuzfahrt für zwei Personen schaffen es auf diesen Wert.
Laut Monika Bandi Tanner ist bei weitem der wichtigste Faktor beim ökologischen Fussabdruck des Reisens die An- und Abreise. Sie macht bei den Thailand-Ferien etwa drei Viertel der Emissionen aus. Danach kommen Übernachtung, Aktivitäten und Verpflegung. Während der Aufwand für die Verpflegung immer etwa gleich ist, schliesslich isst man in den Ferien nicht wesentlich mehr als sonst, machen die Übernachtungen und die Aktivitäten einen grossen Unterschied. Beim Heliskiing fällt der Helikopter fast so stark ins Gewicht wie der Hinflug, und auf einer Kreuzfahrt verbraucht das Schiff pro Passagier fast so viele Ressourcen wie der Ski-Helikopter. Bei modernen Kreuzfahrtschiffen entfällt mittlerweile mehr als die Hälfte des Energieverbrauchs auf die sogenannte «Hotelenergie», jene Energie, die nicht fürs Fahren benötigt wird. Die Reedereien sind sich dieses Problems allerdings auch bewusst, leicht geschubst von entsprechender Gesetzgebung. Neue Schiffe werden mit Flüssiggas angetrieben statt mit Schweröl, und die ersten Veranstalter haben eine «Zero Waste»-Politik, mit der sie auf dem Schiff Abfälle und Einwegverpackungen vermeiden. Ebenfalls oft fragwürdig sind Ferien in «unberührter Natur», wo aber mit grossem Aufwand die Annehmlichkeiten des Alltags geboten werden. So haben etwa die Malediven oder viele karibische Inseln grosse Probleme mit ihrer Abfallentsorgung. Strom kann nur mit Dieselgeneratoren erzeugt werden, und die laufen auch dann, wenn die Gäste nur ihre Smartphones laden wollen. Der kleinere Fussabdruck von Ferien in der Nähe gilt selbst für die mit Gondelbahnen und Skiliften industrialisierten Bergwelten der grossen Skigebiete. Skiferien in der Schweiz oder Badeferien in Kroatien, beide Male mit dem Auto, liegen beide bei etwa 300 kg CO2 und sind damit absolut im Rahmen. Und wer kennt schon alle Museen und lauschigen Ecken der eigenen Region? Selbst wenn man häufig Ausflüge macht, sind «Ferien in Balkonien» die ökologischste Variante und attraktiv dazu, etwa für Berufspendler, die ihre Wohnungen nur nachts sehen.
Jene Destinationen, welchen oft mit einem gewissen Naserümpfen begegnet wird, sind ökologisch oft erstaunlich gut unterwegs. Die Hotelkomplexe entlang der italienischen Adriaküste oder der spanischen Mittelmeerküsten gehörten zu den ersten Gebieten, die an Kläranlagen angeschlossen wurden. In idyllischeren Gegenden flossen die Abwässer dagegen noch jahrzehntelang in den nächsten Bach. Gut organisierte «Fabrikferien» an Orten, wo sich Resort an Resort reiht, sind deshalb oft weniger umweltbelastend als der einsame Palmen-Sehnsuchtsort. Hier sieht Monika Bandi Tanner ohnehin einen der «Gorillas im Raum», eines jener Probleme des Tourismus, die oft ignoriert werden. Immer wieder erfahren solche idyllischen Punkte durch Influencer und Instagram einen plötzlichen Hype und werden vom heranbrandenden Gäste-Tsunami weggeschwemmt. Im Berggasthaus Äscher-Wildkirchli in Appenzell Innerrhoden kann man ein Lied davon singen, wie plötzliche Berühmtheit, ausgelöst durch «Geheimtipps» von Hollywood-Stars, eine Frontseite in «National Geographic» und Hunderte von Instagrammern, Küche und Kanalisation überfordern. Doch das «Äscher»-Problem droht mittlerweile fast überall, wo es schön, unberührt und «authentisch» ist. Wer eine solche Attraktion kennt oder entdeckt hat, behält das deshalb besser für sich – und schützt sie für sich und wenige andere, statt das Erlebnis mit der Jagd nach «Likes» zu ruinieren. Weil der Anteil der Hin- und Rückreise oft über 80 Prozent der gesamten Emissionen einer Reise ausmacht, ist nicht nur die Wahl des Transportmittels entscheidend, sondern vor allem auch die Länge des Aufenthalts. Monika Bandi Tanner rät deshalb zu langen Aufenthaltsdauern statt zu vielen Kurztrips. Damit verteilen sich die ohnehin grossen Reiseemissionen auf mehr Ferientage. Immer mal wieder für zwei Tage nach London oder drei Tage nach Barcelona zu jetten, ist fragwürdig. Und das Yoga-Achtsamkeits-Weekend in Indien ist ökologisch ignorant. Fünf Wochen bewusstes Reisen in den USA, während deren man sich in den hotelartigen Zügen der staatlichen Bahngesellschaft Amtrak mit ihren bequemen Betten und hervorragenden Speisewagen durch den Wilden Westen schaukeln lässt, sind ökologisch eher vertretbar.
Die relativ modernen Flugzeuge der Lufthansa-Gruppe, zu der auch die Swiss gehört, verbrauchen im Schnitt 3,58 Liter Kerosin pro 100 Personenkilometer. Diese Zahl ist bei grösseren Flugzeugen kleiner und sinkt bei längeren Flügen weiter, weil die Maschinen im Flug leichter werden. Der verbrauchte Treibstoff muss nicht mehr mitgeschleppt werden, das Flugzeug wird sparsamer. Je kürzer die Flüge und je kleiner die Flugzeuge, desto ineffizienter wird das Fliegen. Einmal im Grossraumjet nach Kalifornien ist deshalb weniger schädlich als dreimal mit dem nur halb so grossen Flugzeug einer Billigairline auf die Kanaren, obwohl die zurückgelegte Strecke etwa gleich ist. Richtig ökologisch unterwegs ist aber, wer aufs Jetten möglichst verzichtet oder zumindest nur in eine Richtung fliegt und etwa für den Rückweg ein anderes Transportmittel wählt. Flugzeuge emittieren pro Personenkilometer rund 426 Gramm CO2, Autos mit 216,5 Gramm ziemlich genau die Hälfte, die Bahn dagegen nur etwa 14 Gramm oder 3,2 Prozent des Flugzeugs.
Nun gehen ja nicht nur Schweizer in alle Welt in die Ferien, sondern alle Welt macht Ferien in der Schweiz. Ab 1863 war die Schweiz Ziel einer ersten Pauschalreise des britischen Reisepioniers und Erfinders des Massentourismus, Thomas Cook, dessen Firma erst kürzlich pleitegegangen ist. Mittlerweile ist der Tourismussektor einer der wichtigsten Arbeitgeber im Land und gemessen an der Zahl der ausländischen Gäste eine der wichtigsten Exportbranchen der Schweiz. Mit jährlichen Einnahmen von 16,6 Milliarden Franken von ausländischen Gästen macht der Tourismus rund 4,4 Prozent der Exporteinnahmen aus. Gleichzeitig geben Schweizer Gäste rund 18 Milliarden Franken jährlich im Ausland aus. Der Schweizer «Incoming»-Tourismus von Gästen, die unser Land besuchen, verursacht damit ähnlich grosse Reiseemissionen wie der «Outgoing»-Tourismus von Schweizern, die ins Ausland fliegen. Allerdings relativiert eine Studie von Avenir Suisse diesen Punkt. Ein grosser Teil der Gäste in der Schweiz kommt zum einen aus der Schweiz, vor allem aber auch aus den Nachbarländern und Europa. Gäste aus Asien sind eine wichtige Minderheit. Laut Avenir Suisse stehen die Destinationen in der Schweiz in direkter Konkurrenz zu teilweise sehr weit entfernten Ferienzielen. So wird der Rückgang der Übernachtungszahlen in Graubünden zu einem Teil auf massiv billiger gewordene Fernreisen zurückgeführt. Zudem gestalten viele Schweizer Veranstalter ihr Angebot mit Aufwand und viel Überzeugung umweltfreundlich. Bei den Schweizer Jugendherbergen fängt das schon bei der Architektur an und zieht sich durchs ganze Angebot.
Wenn ökologische Ferien möglichst lang und möglichst bahnlastig sein sollen, landen wir bei einer völlig neuen Ferienplanung. Statt Kurztrips mit Attraktionen maximal zwei Stunden von einem internationalen Flughafen entfernt rücken bisher unbeachtete Destinationen ins Blickfeld. In Polen gibt es Dünen wie in der Sahara; Friesland bietet das grösste zusammenhängende Seengebiet Europas; der Ladogasee vor den Toren St. Petersburgs hat Strände und Brandung wie in der Karibik, aber mit Süsswasser. Die Altersbeschränkung beim legendären Interrail-Ticket ist gefallen. Damit lässt sich das vereinigte Bahn-Europa der Jugend nun auch mit der Familie erkunden. Und die auf der Autobahn dahinrasenden, aber trotzdem wie parkiert aussehenden Autos grüssen wir aus dem Speisewagen des ICE mit einem Glas Rotwein. Das Display zeigt «340 km/h».
Bootfahren auf den Kanalnetzen Frankreichs und Belgiens? Radtouren durch die Wälder Polens? Wellness in Dalmatien? Reisen regt die Fantasie an, vor allem, wenn auch der Weg und das Transportmittel zum Ziel werden. Über den Atlantik kommt man auch mit Frachtschiffen oder als Crewmitglied auf einem Segelboot. Spontane Naturen fragen sich in Hafenkneipen, Yacht- und Containerhäfen durch. Wer nach dem Grundsatz lebt: «Glück ist die Planung, die man nicht sieht», sucht sich auf entsprechenden Apps und Websites einen schwimmenden Untersatz. Die «Mitsegel-Apps» haben seit den beiden Atlantiküberquerungen von Greta Thunberg massiven Zulauf erhalten. Und was Phileas Fogg 1872 im Roman «In 80 Tagen um die Welt» von Jules Verne schaffte, geht heute erst recht.
Interrail gilt noch immer als das Abenteuer der Jugend – für viele die Geschichte der ersten grossen Reise mit der ersten grossen Liebe durch ganz Europa, mit minimalem Budget und maximalen Erinnerungen. Interrail war jahrzehntelang der Schlüssel zur Freiheit, viel mehr noch als ein eigenes Auto. Das Gemeinschaftsticket der europäischen Bahnen startete 1972 und ist ein Kind der 68er-Bewegung und des Hippie-Trails. Das waren die Rucksackreisen jener Generation, bei denen der Weg wichtiger war als das Ziel. Die europäischen Bahngesellschaften wollten auch dieser wachsenden Zahl von Rucksacktouristen etwas bieten und erfanden das Interrail-Ticket für junge Menschen bis 21. Später stieg die Altersgrenze auf 26, und bereits 1988 wurde das Alterslimit komplett aufgehoben. Interrail ist deshalb die beste Möglichkeit, Europa zu erkunden. Viele tun das noch immer mit magerem Studentenbudget, bei dem die Nachtzüge immer auch als rollendes Hotel genutzt werden und das grosse Bankett mit den Kumpels jeweils auf einer Parkbank angerichtet wird. Es geht aber auch stilvoll und mit grösserem Budget für gute Restaurants, Konzerte und Ausstellungen. Interrail ist vor allem auch für jene die grosse Bahnfreiheit, die schon fast vergessen haben, dass es das noch gibt.