Die Fata Morgana der negativen Strompreise
Klimaziele und die Entwicklungen in den Strommärkten widersprechen sich.
Klimaziele und die Entwicklungen in den Strommärkten widersprechen sich.
Strom ist heute ein Handelsgut wie Sand oder Öl. Allerdings haben sich die Voraussetzungen verändert, wie Lorenzo Pola, Leiter Stromhandel bei Repower, erklärt. Lange folgten die Strompreise jenen der Brennstoffe Kohle und Gas, weil damit der grösste Teil der Elektrizität erzeugt wurde. Seit etwa 15 Jahren – mit der grossvolumigen Einführung der Energieerzeugung aus Wind und Sonne – hat sich das Preisgefüge verschoben. Fossile Energieträger sind mit sinkender Nachfrage billiger geworden, mit einem Tiefpunkt im Jahr 2016. Danach haben die Preise für Fossilstrom dank der Emissionsbesteuerung wieder angezogen.
Wenn subventionierte Erzeuger wie Wind- und Solaranlagen einen garantierten Einspeisetarif erhalten, ist es ihr Interesse, möglichst viel zu produzieren – egal, ob Bedarf besteht. Und wenn sie keine Subventionen mehr erhalten, bleiben für die Produktion nur die Grenzkosten. Unternehmen, die in ihren Kraftwerksparks konventionelle und erneuerbare Technologien haben, können auf Preisausschläge reagieren, indem sie Kraftwerke gezielt ausschalten, um die Preise zu stützen.
So ist der Markt deutlich volatiler geworden. Gegenwärtig ist zudem laut Lorenzo Pola das Emissionshandelssystem der EU eine der grössten Unsicherheiten: in den letzten Jahren aufgrund des Brexits und aktuell durch den Einfluss der Coronavirus-Pandemie. Grossbritannien ist zwar nicht mit dem Stromnetz des Festlands verbunden. Doch ursprünglich wollte das Land am Emissionshandelssystem der EU teilnehmen, was nun nicht mehr sicher ist. Diese Unklarheiten führen zu einer hohen Volatilität im Terminmarkt. Mit einer Eigentümerstruktur, die häufig Privataktionäre, Kantone, andere Energieversorger und auch Investmentfonds umfasst, hat für Firmen wie Repower die Versorgungssicherheit höchste Priorität. Gleichzeitig wollen die Besitzer aber auch Renditen sehen, die für den Bau von Schulen, Strassen und Spitälern eingesetzt werden können. Laut Lorenzo Pola muss man deshalb bereit sein, für den Primat der Versorgungssicherheit einen Preis zu zahlen. Auch weil die Energieproduktion von Wind- und Solarkraftwerken wenig flexibel ist, ist der Markt neuerdings bereit, höhere Preise im Terminmarkt als im Spotmarkt – quasi dem Heute-und-jetzt-Markt – zu bezahlen.
2008 lagen die Preise für Termingeschäfte etwa bei 80 Euro pro Megawattstunde. 2020 lag der Terminpreis für 2021 bei rund 44 Euro – Niedertarif 40 Euro, Hochtarif 51 Euro. Weil Pumpspeicherwerke mit einem Wirkungsgrad von 80 Prozent arbeiten, fressen die Energieverluste der Pumpen mögliche Gewinne weg. Mit einer so kleinen Preisdifferenz, Spread genannt, lässt sich kaum noch Geld verdienen. Eine Amortisation neuer Anlagen mit Kosten im dreistelligen Millionenbereich ist so nicht einmal ansatzweise möglich. Das grösste Bauprojekt von Repower, das Pumpspeicherwerk Lagobianco, ist deshalb sistiert, obwohl solche Speicher für die Energiewende dringend gebraucht würden. Die neuen Pumpspeicher Nant de Drance und Linth-Limmern wurden noch für Preise um 120 Euro pro Megawattstunde und Spreads von 40 bis 60 Euro geplant.
Trotz viel Zubau von Wind- und Solaranlagen gibt es aber noch kaum Stunden mit «Überschussstrom» zu negativen Preisen. Sie jedoch wären wichtig für viele Dekarbonisierung-Geschäftsmodelle, vor allem bei Wasserstoff. Bis Anfang Dezember 2020 gab es in der Schweiz während 75 Stunden negative Preise, in Deutschland mit seinen riesigen Windfarmen während 200 Stunden – von 8760 Stunden im Jahr. Das sind 0,9 und 2,3 Prozent aller Stunden. Ein Elektrolyseur zur Erzeugung von Wasserstoff müsste aber mindestens 3000 Stunden jährlich produzieren können, damit sich die Investition lohnt.
Der Konsumentenstrompreis hat nur bedingt etwas mit den Strompreisen im Grosshandel zu tun, ähnlich wie der Benzinpreis weit weg ist vom Ölpreis. Der Preis auf der Rechnung der Konsumentinnen und Konsumenten besteht laut der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid nur zu 36 Prozent aus der Energie. 44 Prozent entfallen auf die Verteilnetze, 5 Prozent auf das Übertragungsnetz mit den internationalen Höchstspannungsleitungen, 3 Prozent auf Abgaben und 12 Prozent auf die Bundesfördermittel für Strom aus erneuerbaren Energien.
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