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iStock / Taisiia Shestopal on Unsplah Klimatische Extrem­ereig­nisse wie Über­schwem­mungen kommen heute welt­weit viermal häufiger vor als vor 40 Jahren.
Ökologie

Dem Wasser mehr Platz geben

Steigende Tem­pe­ra­turen, Stark­nieder­schläge, Über­schwem­mungen: Welt­weit kämpfen Städte mit den Folgen der Klima­erwärmung. Eine viel­ver­sprechende Lösung bietet das Konzept der Sponge City – auch für Schweizer Städte?

«Wir gaben dem Wasser zu wenig Platz», sagt Kongjian Yu, ein chinesischer Professor und Landschafts­architekt, in einem ein­dring­lichen Video, publiziert vom Welt­wirtschafts­forum im Sommer 2019. Er kritisiert darin die vom Menschen geschaffenen baulichen Mass­nahmen, die den natürlichen Wasser­kreis­lauf stören. Dazu zählen ver­siegelte Böden und Ober­flächen, Kanäle und Dämme – «graue Infra­strukturen», wie Kongjian Yu sie nennt. Früher habe man diese Mass­nahmen für nötig gehalten, um Nieder­schläge, Flüsse und stehende Gewässer zu kon­trol­lieren. Heute zeige sich, dass sie das Risiko von Hoch­wasser und anderen klimatischen Extrem­ereignissen sogar noch erhöhten. Fehlende Grün­flächen in Städten führen dazu, dass das Regen­wasser nicht im Boden versickern kann und statt­dessen in die Abwasser­kanäle fliesst. Bei Stark­regen können diese über­laufen. Die fehlende Vegetation verhindert zudem ein natürliches Abkühlen der Umgebung. Folglich bilden sich in Innen­städten vermehrt Hitze­inseln, was die Lebens­qualität beeinträchtigt.

Die Stadt als Schwamm

Die Klima­erwärmung verschärft diese Situation zusätzlich, wie die Statistik zeigt: Über­schwemmungen und Stark­nieder­schläge treten heute welt­weit vier­mal häufiger auf als noch vor 40 Jahren. Eine Lösung sieht Professor Kongjian Yu in der Sponge City, zu Deutsch «Schwammstadt». Die Stadt soll das Regen­wasser aufsaugen und zwischen­speichern wie ein Schwamm – und zwar dort, wo es fällt. So lässt sich der natürliche Wasser­kreislauf nachahmen: Das Wasser versickert und verdunstet, es wird nicht einfach ins Kanal­netz abgeleitet. Möglich machen das beispiels­weise der Ein­satz von versickerungs­fähigem Pflaster, das Anlegen von speziellen Retensions­flächen (Auffang­flächen) für Wasser und Entwässerungs­mulden sowie die Begrünung von Dächern und Fassaden. «Wir halten die Stadt kühl, indem wir die Natur imitieren», bringt es Kongjian Yu auf den Punkt. Mit dem Konzept der Sponge City hat er bereits über 250 Städte in China trans­for­miert und weitere Städte in den USA, Russland und Indonesien grüner gemacht.

«Wir halten die Stadt kühl, indem wir die Natur imitieren.»

Die Ideen und Mass­nahmen der Sponge City sind im Wesentlichen die­selben wie jene der «klima­an­ge­passten Stadt­entwicklung», welche die Schweiz seit einigen Jahren verfolgt. Auch unsere Städte und Gemeinden sollen grüner werden und sich den klimatischen Veränderungen anpassen. Denn die Durchschnitts­temperatur hier­zulande ist seit Mess­beginn im Jahr 1864 um 2 Grad Celsius gestiegen – doppelt so stark wie im globalen Mittel. Der Anteil an versiegelten Flächen nahm innert 24 Jahren um knapp 30 Pro­zent zu und liegt gemäss jüngsten Zahlen bei 4,7 Pro­zent der Landes­fläche. In Siedlungs­gebieten beläuft er sich gar auf 67 Pro­zent. Das bedeutet, dass in den urbanen Gebieten der Schweiz mehr als zwei Drittel der Fläche verbaut sind.

«Mehr Grün und Blau statt Grau.»

«Mehr Grün und Blau»

Mit dem Pilot­programm «Anpassung an den Klima­wandel» sensi­bi­li­sierte der Bund in den Jahren 2014 bis 2016 Kantone, Regionen und Gemeinden für eine klima­bewusste Stadt­entwicklung. In dieser Zeit wurden insgesamt 31 Pro­jekte auf lokaler Ebene in allen Landes­teilen realisiert. Auch die Stadt Sitten im Kanton Wallis war mit ihrem Pro­jekt Acclimatasion Teil des Pro­gramms. Im schweiz­weiten Ver­gleich ver­zeichnet Sitten einen der grössten Temperatur­anstiege seit 1984: plus 0,5 Grad Celsius pro Jahr­zehnt, Tendenz weiter steigend. Es wird befürchtet, dass sich die «Normal­sommer» bis 2060 dem Hitze­sommer von 2003 angleichen könnten. Gleich­zeitig gehen die Nieder­schläge in der Stadt stärker zurück als andern­orts im Land. Ent­sprechend klar formuliert war das Ziel von Acclimatasion: «Mehr Grün und Blau statt Grau.»

Diverse Um- und Neu­ge­staltungen von Strassen, Plätzen und Aussen­räumen rund um Schul­häuser zeugen heute davon, dass die Sittener Projekt­ver­ant­wortlichen ihr Ziel erreicht haben. Aus teil­weise tristen Strassen und Vor­plätzen ent­standen grüne, ein­la­dende Begegnungs­zonen im öffent­lichen Raum. So wurde zum Bei­spiel die ehemals unscheinbare Rue de la Blancherie in der Nähe des Bah­nhofs in eine offene Begegnungs­zone mit grünen «Inseln» voller Sträucher und Blumen um­ge­staltet. Solche Ver­än­derungen wirken sich positiv auf die Lebens­qualität und die touristische Attrak­ti­vität von Sitten aus, wie die Stadt in ihrem Abschluss­bericht zum Projekt Acclimatasion betont. Die all­gemeine Qualität der Raum­ge­staltung, heisst es, habe einen starken Ein­fluss auf die Bezie­hungen, die sich in einer Stadt ent­wickeln könnten.

Sitten als Sponge City?

Darüber hinaus konnten dank des Pro­jekts auch private Grundstück­eigen­tümer von einer klima­an­ge­passten Bau­weise – etwa von grünen Haus­dächern – über­zeugt werden. Und schliess­lich verab­schiedete die Stadt im Nach­gang neue Richt­linien für die Planung und Pflege von öf­fent­lichen Räumen. Dort steht explizit, dass in Zukunft Lösungen zu bevor­zugen seien, welche die Vegetation berück­sich­tigten und den Wasser­kreis­lauf respek­tierten. Ist Sitten damit eine Schweizer Sponge City? Sie ist zumindest eine Stadt, die den natürlichen Wasser­kreis­lauf respek­tiert und fördert – und sich damit ganz im Sinn von Professor Kongjian Yu aus China entwickelt hat.

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Weitere Vorzeigestädte

Das Bewusst­sein für grünere, dem Klima an­ge­passte Städte ist in der Schweiz in den letzten Jahren stark ge­stiegen. Bei­spiele für posi­tive Ent­wick­lungen finden sich viele. So setzt etwa Genf auf so­ge­nannte «Pocketparks»: kleine, grüne Oasen, welche die grossen Grün­flächen der Stadt besser mit­einander vernetzen. Wo ver­sie­gelte Flächen un­um­gänglich sind, stellt die Stadt riesige Pflanzen­tröge auf. Lausanne fördert seit 2015 ge­zielt mehr begrünte Dächer auf dem Stadt­gebiet. Ent­sprech­ende Vor­­haben – öffent­liche wie private – werden finan­ziell unter­stützt. Und Winterthur hat sich mit einem im Sommer 2020 pu­bli­zierten Grund­satz­papier dazu ver­­pflich­tet, An­pas­sungen an den Klima­wandel gezielt voran­zu­treiben. Die Stadt will unter anderem die Hitze­belastung in Innen- und Aussen­räumen redu­zieren, den öffent­lichen Raum klima­gerecht gestalten und sich auf veränderte Natur­gefahren vorbereiten.

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