Welcher Teil unseres Haushalts erzeugt die grösste Umweltbelastung? Das Auto? Das Fleisch im Kühlschrank oder vielleicht die Heizung? Nichts von alle dem. Einer der grössten Umweltsünder zu Hause ist meist gar nicht auf der Liste der üblichen Verdächtigen. Es ist der Kleiderschank. Zum Wasserverbrauch des Anbaus von Naturfasern, meist Baumwolle, kommt der Wasserverbrauch des Färbens. Nach jahrhundertealter Tradition wird in weiten Teilen der Welt die Textilfarbe noch immer mit Wasser angesetzt und das Garn dann in diesen Bädern gefärbt. Der Prozess verbraucht direkt zwischen 20 und 30 Liter Wasser pro Kilogramm Stoff. Und weil die Farbbrühe dann oft einfach in den nächsten Fluss gekippt wird, verschmutzt jedes Kilogramm Stoff dann noch einmal mehrere hundert Liter sauberes Wasser. Eine kleine Bestandesaufnahme in jedem beliebigen Kleiderschrank ergibt einen virtuellen Wasserverbrauch von mehreren Schwimmbädern – für die Färbung der Textilien und die Erzeugung der Baumwolle. Denn auch da ist der Wasserverbrauch sehr gross. Je nach Land werden allein für die Produktion von Baumwolle in den Plantagen pro Kilogramm fertigen Stoffs zwischen 6000 und 22 000 Liter Wasser verbraucht.
Die dümmste Branche
Besonders absurd wird dieser Wasserverbrauch beim Färben von Kunstfasern. «Ich bin darauf aufmerksam geworden, als mich ein Automobilingenieur vor etwa zehn Jahren an einer Textilkonferenz ausgelacht und gesagt hat, die Textilindustrie sei die dümmste Branche von allen, weil sie Plastik mit Wasser färbe», sagt Martin Berling, Gründer der Firma «We aRe SpinDye», die das Verfahren für sauberes Färben von Textilien ähnlich als Marke zu etablieren versucht wie «Gore-Tex» für die wasserdichte Membran in Windjacken oder «Intel inside» für die Prozessoren in Computern.
Martin Berling hatte damals die Vertretung der Outdoor-Marke Fjällräven in den USA und wusste erst nicht, was das bedeuten soll, die «dümmste Branche». Seit Menschengedenken werden Textilien in Wasserbäder mit Farbe getaucht, um sie zu färben – mit den üblichen Nachteilen, die für Kleider selbstverständlich sind: Sie bleichen aus und färben beim Waschen ab.
Verbrauch von Kunstfasern explodiert
Während der Verbrauch von Baumwolle seit Jahren stagniert, ist der Verbrauch von Kunstfasern in der Bekleidungsindustrie in den letzten 25 Jahren von rund jährlich 10 Millionen Tonnen auf rund 60 Millionen Tonnen gestiegen. Trotzdem sind Kunstfasern verpönt. «Plastik», heisst es. Allerdings sind auch Fleecejacken und kuschelige künstliche Pelze aus 100 Prozent Polyester. Das ist der Grund für den massiven Anstieg beim Verbrauch: Polyester ist sehr vielseitig, angenehm zu tragen, wird oft nicht als Kunststoff erkannt und versteckt sich auch in Mischgeweben, seien es Decken, Stretch-Jeans oder Sweatshirts. Und je mehr Polyester in Kleidern verarbeitet wird, desto grösser wird das Problem mit dem Färben. Es ist Unsinn, all diese Kunstfasern noch immer wie Naturfasern zu behandeln. Die Farbstoffindustrie hat für die Autoindustrie schon vor vielen Jahren ein Färbeverfahren mit sogenannten Masterbatches (Farbgranulaten) entwickelt. Das Verfahren baut die Farbe direkt in den Kunststoff der Textilien ein. Teppiche und Stoffsitze in Autos färben nicht ab, bleichen nicht aus und sehen auch nach vielen Jahren gut aus. Doch während der Marktanteil von Masterbatch-Textilien bei textilen Auto-Interieurs rund 60 Prozent beträgt, liegt er bei Kleidern im vernachlässigbaren einstelligen Prozentbereich.
Wie ein Supertanker aus Holz
Moderne Kunstfasern des 21. Jahrhunderts noch wie vor 500 Jahren im Wasserbad zu färben, ist deshalb etwa so sinnvoll, wie wenn man heute Öltanker noch immer aus Holz bauen würde. Der Verbrauch natürlicher Ressourcen ist gewaltig und das Resultat im besten Fall mittelmässig. Die besten Färbereien in Deutschland brauchen pro Kilogramm Stoff rund 18 Liter Wasser. In Zentralasien dagegen glaubt kaum jemand, dass das mit so wenig Wasser geht. Die dortigen Färbereien benötigen bis zu 30 Liter Wasser pro Kilogramm Stoff. Die Mission von «We aRe SpinDye» ist es deshalb, die Stoffe aus den Farbbädern herauszuholen und die Farbe schon viel früher, bei der Produktion des Fadens in die Textilien zu integrieren.
Denn mit dem Boom der Kunstfasern in der Mode wurde nicht einfach das Farbproblem linear grösser. Die Kunstfasern haben die Umweltbelastung massiv verschärft. Im Gegensatz zu den Naturfasern braucht es eine Vielzahl hochgiftiger Chemikalien, damit die Polyesterfasern die Farbe im Wasserbad überhaupt annehmen. Mit SpinDye dagegen reichen ein paar Milliliter Wasser pro Kilogramm Tuch, und Flüsse werden auch keine mehr verschmutzt.
Martin Berling«Viele Unternehmen der Mode- und Outdoor-Branche sind sich gar nicht bewusst, welche ökologischen Probleme sie auslösen.»
«Viele Unternehmen der Mode- und Outdoor-Branche sind sich gar nicht bewusst, welche ökologischen Probleme sie auslösen», sagt Martin Berling. Die Modebranche habe die ganze Versorgungskette, ihre Supply-Chains, dermassen weit von sich weggeschoben, dass sie praktisch nicht mehr weiss, wer ihr Garn wo und wie produziere. «Mode machen ist toll und sexy, aber mit der dreckigen Produktion will man nichts zu tun haben. Die Verantwortung für ihre Produkte delegieren die Firmen an Zertifikate und NGOs, die irgendwelche Standards überwachen sollen», sagt er.
Ökologisch färben ist relativ einfach und kostet kaum etwas
Ein weiteres Problem liegt darin, dass die Branche stark fragmentiert ist. So haben die 35 grössten Modeketten wie H&M oder Zara gemeinsam nur einen Marktanteil von rund 15 Prozent. Man müsse deshalb mit sehr vielen Leuten sprechen, um überhaupt einmal ein Resultat zu erzielen und Leute zu sensibilisieren, erklärt Martin Berling.
Dabei sei es eigentlich ganz einfach und koste kaum etwas – ausser, dass sich die Firmen anders organisieren müssen. Viele Modeunternehmen machen laut Martin Berling den sogenannten Color-Breakdown sehr spät im Bestellprozess. Das heisst, dass bei einer Bestellung von 100 000 T-Shirts erst ganz zuletzt festgelegt wird, wie viele Kleidungsstücke von welcher Farbe benötigt werden. Aufgrund von Statistiken weiss man aber schon viel früher, welche Farben sich wie gut verkaufen. Als Resultat dieser Industriegewohnheit werden die meisten Kleider aus weissem Garn bestellt und dann erst im letzten Moment im Wasserbad gefärbt. Dabei entstehen sehr viele Fehler, weil man selten bei mehreren Färbedurchgängen den Farbton immer genau gleich trifft. Das führt dann dazu, dass auch teilsynthetische T-Shirts mit demselben Rot alle eine leicht unterschiedliche Tönung haben. Im Laden sieht es fürchterlich aus, wenn viele gleiche Kleidungsstücke mit leicht unterschiedlicher Färbung nebeneinander hängen. Zu Hause dagegen fällt es nicht mehr auf. Die wenigsten Leute kaufen zehn identische T-Shirts.
Ein Viertel aller Kleider geht von der Fabrik direkt auf den Müll
Solche Farbvariationen sind der wichtigste Grund für von Händlern zurückgewiesene Sendungen. Insgesamt wird deshalb rund ein Viertel aller hergestellten Kleider gar nie getragen. Sie wandern von der Fabrik direkt auf den Müll.
Doch allein schon mit einer früheren Definition der Farbpalette können die Webereien mittels SpinDye gefärbtes Garn bestellen. Alle Kleider haben dann den exakt selben Farbton. Das Färben eines ganzen Sattelschleppers voller Kleider benötigt am Schluss nur noch eine Feldflasche voll Wasser statt eines ganzen Sees. Weggeworfen wird auch nichts mehr, weil es keine Farbfehler mehr gibt. Die Autoindustrie arbeitet schon lange so.
Obwohl die Argumente überzeugend sind und alle Beteiligten auch finanziell davon profitieren können, ist die Überzeugungsarbeit nicht einfach, sagt Martin Berling. «Überall wo wir hinkommen, herrscht das Vorurteil, SpinDye sei teuer. Doch es spielt weder für die Konsumenten noch für alle Beteiligten in der Herstellungskette eine Rolle, wenn der Rucksack am Schluss fünf oder zehn Eurocent mehr kostet. Zudem wird immer vergessen, wieviel jeder einsparen kann, wenn nichts mehr weggeworfen wird.»
Martin Berling«Letzten Endes müssen wir in die Organisationsstrukturen der Konzerne eingreifen, und da sind die Abläufe sehr träge.»
Beraterhonorar im Preis des Materials
«Letzten Endes müssen wir in die Organisationsstrukturen der Konzerne eingreifen, und da sind die Abläufe sehr träge», hat Martin Berling erkannt. «We are SpinDye» verkauft deshalb zwar farbige Garne, gleichzeitig ist die Firma aber auch eine Unternehmensberatung, welche den Textilunternehmen die neuen Abläufe erklärt, die sie implementieren müssen, um umweltfreundlicher färben zu können. Das Beraterhonorar ist im Preis des Materials enthalten.
Das hat durchaus Erfolg. Die französische Sportartikelkette Decathlon hat herausgefunden, dass Textilien mehr als drei Viertel ihres ökologischen Fussabdrucks ausmachen – und stellte die Produktion mittlerweile konsequent auf Produkte um, die mit SpinDye gefärbt sind. Dabei sind die Decathlon-Produkte zwar qualitativ gut, aber alles andere als teuer, und die Kunden sind sehr preisbewusst. Händler und Brands wie Decathlon haben erkannt, dass sie wieder mehr über ihre Hersteller wissen müssen. Martin Berling erklärt: «Vor 40 Jahren wusste jeder Modehersteller, wo sein Garn herkommt, wo es gewoben wird und wer es zu Kleidern näht. Heute weiss das kaum mehr jemand. Es gibt einen gigantischen Graben zwischen den Retailern und ihren Herstellern.» Die Firmen hätten jahrzehntelang ihre Kernkompetenz ausgelagert – und staunen nun, dass sie diese nicht mehr beherrschen. Die Einführung ökologischer Färbesysteme in der Textilindustrie bedeutet deshalb erst einmal, einen Lernprozess in der Branche anzustossen. Denn die Technologie gegen die Ökokatastrophe im Kleiderschrank ist schon längst vorhanden.
Psychotherapeuten der Textilindustrie
«We aRe SpinDye» versucht das Verhalten der Firmen zu ändern.
Martin Berling ist Gründer der Firma «We aRe SpinDye», die das für die Automobilindustrie entwickelte SpinDye-Verfahren in der Modebranche etablieren will. Er ist dabei kein eigentlicher Verkäufer, sondern leistet sehr viel Beratungs- und Überzeugungsarbeit. Das SpinDye-Verfahren (wörtlich für «Färben beim Spinnen») baut die Farbe direkt während des Spinnprozesses in den synthetischen Faden ein. SpinDye ist zwar nicht teurer als herkömmliches Färben, aber es benötigt in den Firmen komplett andere Abläufe. Traditionell werden Textilien in einem mit Farbe und verschiedenen Chemikalien angesetzten Wasserbad gefärbt. Das benötigt sehr grosse Mengen Wasser und färbt oft die Flüsse in den Textilregionen ebenfalls bunt ein. Pro Kilogramm Stoff benötigt das traditionelle Färben zwischen 18 und 30 Liter Wasser. Um dieselbe Menge Stoff zu färben, benötigt das SpinDye-Verfahren dagegen nur 2 Milliliter Wasser. Ein Fingerhut voll statt eines ganzen Fasses reicht für fünf Kilogramm Stoff.
Um die Technologie zu etablieren und bekannt zu machen, bestehen auf technischer Ebene sehr enge Kontakte zur Kunststoffindustrie. Während die Industrie die Technologie weiterentwickelt und sich auf die Produktion der Masterbatches konzentriert, kennt sich Martin Berling in den Abläufen der Modebranche aus und ist mit «We aRe SpinDye» so etwas wie der Psychotherapeut der Textilindustrie geworden.