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iStock Der Nach­bau des Wikinger­schiffs «Draken» hat be­wie­sen, wie see­tüchtig diese Schiffe waren. Es ist sogar in der Lage, bei rauer See im Früh­ling von Grönland nach Neufundland zu segeln. Ohne Holz­kohle­teer wäre das nicht möglich gewesen.
Ökologie

Holzkohleteer – die Geheim­waffe der Wikinger

Die Wikinger per­fek­ti­o­nier­ten die Gewinnung und den Einsatz von Holz­kohle­teer und machten damit einen gewaltigen ge­sell­schaf­tlichen und tech­no­logischen Sprung nach vorne. «Chemie ist nicht alles, aber fast alles ist Chemie», lautete in den 1980er-Jahren ein Slogan der chemischen In­dus­trie in der Schweiz. Damit machte sie sich nicht nur Freunde, obwohl es dafür ge­nü­gend Bei­spiele gab.

Mitt­ler­weile weiss man, dass der Spruch schon für die Wikinger galt. Bei ar­chäo­lo­gischen Aus­gra­bungen in Dänemark gab es plötzlich neue Er­kennt­nisse zu bereits bekannten tiefen Gruben aus der Wikingerzeit, die etwa vom 8. bis ins späte 11. Jahr­hun­dert dauerte. Die Gruben waren schon lange bekannt. Man ging aber bisher davon aus, dass es ent­weder normale Köhler­plätze für Holz­kohle waren oder aber Fall­gruben, um Tiere zu fangen. Ei­gen­tliche Teer­gruben, in denen kleinere Mengen Teer pro­du­ziert wurden, gab es vor allem mitten in den Wikinger­dörfern. Nun hat sich ge­zeigt, dass diese jün­ge­ren und viel gröss­eren An­lagen ausser­halb der Sied­lun­gen regel­rechte «Industrie­zonen» waren, in denen Holz­kohle nur ein Neben­pro­dukt war. Der ei­gen­tliche Grund für die chemische Industrie der Wikinger war der Holz­kohle­teer. Die Teer­fabriken konnten vor 1000 Jah­ren mit einer einzigen Charge bis zu 200 Liter – oder mehr als eine ganze Bade­wanne voll – Teer herstellen.

Teer macht Schiffe und Fässer dicht

Die Wikinger waren ex­zel­len­te Hand­werker, sei es als Schmiede, Zimmer­leute, Boots­bauer oder Weber. Doch sie lebten in einer Welt, in der sie um­geben waren von Wasser. Dänemark hat etwa die Di­men­sionen der Schweiz, doch eine 7000 Kilo­meter lange Küsten­linie. Jeder Land­weg endet eher früher als später am Wasser. Und dann braucht’s ein Schiff. Doch bei aller Hand­werks­kunst, die Schiffe waren nur so gut, wie sie dicht waren. Laut über­lie­fer­ten Do­ku­menten galt ein Schiff als see­tüchtig, wenn ein ein­zel­ner Mann in der Lage war, mit einem Eimer alles ein­tre­ten­de Wasser wieder hinaus­zu­schöpfen, wäh­rend die andern ruderten – nicht gerade ein ver­trau­en­er­weckendes Qualitäts­merkmal. Das änderte sich mit der massen­haften An­wendung von Teer. Mit ihm wurden die Schiffe nahezu voll­kommen dicht. Es brauchte keinen Schöpfer mehr, damit nicht die ganze Mann­schaft absoff. Doch der Teer hatte noch ganz andere Effekte. Auch die Trink­wasser­fässer waren nun dicht, Vor­räte blieben trocken, ebenso die Holz­kohle, die die Wikinger als leich­tes, gut lager­bares Brenn­material mit­führten. Auch die Kleider hielten die Nässe besser ab, und die le­gen­dären ge­streif­ten Segel ihrer Schiffe, in der Her­stellung so auf­wendig und teuer wie das ganze restliche Schiff, waren nun wetter­be­ständig, steif und wind­un­durch­lässig. Die Schiffe wurden damit viel schneller – und das, ganz ohne zu rudern.

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Im Wikinger­museum in Roskilde in Dänemark werden Schiffe nach alten Vor­bildern nachgebaut.

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Um mög­lichst wenig Wärme zu ver­lieren, gruben die Wikinger ihre Häuser in die Erde ein. Auch hier half der Holz­kohle­teer, damit das Holz nicht verrottete.

Lange Reisen und eine frühe Ent­­de­ck­ung Amerikas dank Teer

Der gross­flä­chi­ge Ein­satz von Holz­kohle­teer be­deu­tete einen Tech­no­lo­gie­sprung für die ganze Wikinger­ge­sell­schaft. Wie wichtig Teer war, zeigt sich auch an vielen Orts­namen in Nord­europa. Sowohl die finnische Stadt Oulu wie auch der Stadt­teil Smolny in der ehe­ma­ligen russischen Haupt­stadt St. Petersburg haben ihre Namen vom Teer. Die mit Teer be­han­del­ten Schiffe und Aus­rüs­tungs­ge­gen­stände ermög­lich­ten viel weitere und schnel­lere Reisen und damit einen viel grös­seren Aktions­radius – bis hin zu Atlantik­über­quer­ungen, lange vor der angeblichen «Ent­deckung Amerikas» durch die Spanier.

Die Wikinger waren vor allem Händler, Hand­werker, Techniker und See­fahrer. Das wilde Räuber- und Abenteurer­image wurde ihnen erst im 19. Jahr­hundert an­ge­dichtet, vor allem durch die Dichter und Kom­po­nisten der deutschen Romantik. Die nordischen See­fahrer liessen sich überall nieder, wo man mit dem Schiff hinkam, ver­misch­ten sich mit der lokalen Be­völ­kerung und über­nahmen zum Teil deren Sprache, Kultur und Gebräuche. Besonders gut sicht­bar ist das in Russland, über dessen grosse Ströme die Wikinger mit ihren immer besseren Schiffen das Land er­kun­deten. Viele Russinnen und Russen sehen sehr skan­di­navisch aus. Zudem stammen viele sla­wische Be­zeich­nungen, aber auch Eigen­namen aus den skan­di­navischen Sprachen. Eine der ältesten bekannten Wikinger­siedlungen in Russland liegt in «Staraya Ladoga» (Alt-Ladoga) am Fluss Wolchow südlich des Ladoga­sees und süd­östlich von St. Petersburg. Der Ort war ideal, um sowohl nach Süden vor­zu­stossen wie auch nach Norden, durch Europas grösste Seen, den Ladoga­see und den Onega­see, und weiter ins Weisse Meer.

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Im Wikinger­museum in Roskilde in Dänemark werden Schiffe nach alten Vor­bildern nachgebaut.

Ein genähtes Schiff für den hohen Norden

Auch hier ging nichts ohne Teer: Im hohen Norden ent­wick­elten sich gegen Ende der grossen Wikinger­zeit im 11. Jahr­hun­dert die Schiffe weiter, ins­be­sondere zur so­ge­nannten «Kotch». Diese war ein geräumiges Handels­schiff und konnte wie die Wikinger­schiffe gesegelt und gerudert werden. Sie war aber vor allem auch eis­gängig. Gegen trei­bende Eis­schollen war ihr Rumpf teil­weise mit dop­pel­ten Holz­planken geschützt, die aber nicht zusam­men­ge­nagelt waren. Wie schon bei den aller­ersten Wikinger­schiffen wurden bei der Kotch die Planken mit Hanf­schnüren zusam­men­genäht – und mit Teer ab­ge­dichtet. Der Rumpf glich in seiner Form dem späteren Expedi­tions­schiff «Fram» und den ersten Eis­brechern des frühen 20. Jahr­hunderts und war dank dieser gleich­zeitig robusten und elastischen Bau­weise immer dicht. Und wenn trotz­dem mal Wasser ein­trat, liessen sich mit Holz und Teer klei­nere Leckagen immer wieder schnell zupappen. Denn Chemie war auch damals nicht alles, aber Chemie machte schon damals vieles möglich.

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