«Unser künftiges Energiesystem ist robuster und günstiger»
Aktuellen Ausbauprojekte und die künftigen Herausforderungen.
Aktuellen Ausbauprojekte und die künftigen Herausforderungen.
Wie schreitet der Ausbau der Energieproduktion voran? Eine neue Übersicht im Netz zeigt es. Michael Frank, Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), über die aktuellen Ausbauprojekte und die künftigen Herausforderungen.
Sie haben eine aktuelle Übersicht der Ausbauprojekte der Stromproduktion veröffentlicht. Was hat Sie dabei am meisten überrascht?
Michael Frank: Die Menge an bekannten Projekten. Aktuell zählt unsere Übersicht über 100 geplante Produktionsanlagen verschiedenster Technologien. Und es sind bestimmt noch nicht alle. Wir hoffen, dass wir bald auch die uns noch nicht bekannten Projekte abbilden können.
Also Entwarnung, es kommt gut?
Natürlich reichen die aktuellen Projekte nicht, um die Stromlücke bis 2050 zu schliessen. Es wird im Laufe der Jahre noch viele weitere Ausbauprojekte geben und brauchen. Unsere Übersicht zeigt aber eindrücklich das grosse Potenzial der Erneuerbaren – konkret sprechen wir von grossen Anlagen und nicht von Photovoltaikanlagen auf Dächern und Fassaden. Die Liste zeigt aber auch, dass sich die allermeisten Projekte noch in frühen Stadien befinden, also noch weit entfernt von einer Inbetriebnahme sind. Das führt uns deutlich vor Augen, dass wir die Rahmenbedingungen verbessern und die Bewilligungsprozesse und Verfahren massiv beschleunigen müssen, damit das Potenzial der Erneuerbaren schneller und besser ausgeschöpft werden kann – im Sinne der nationalen Interessen Klimaneutralität und Versorgungssicherheit.
Ist es zu schaffen?
Der Umbau des Energiesystems ist eine logische Konsequenz der Energiestrategie, zu der die Bevölkerung 2017 Ja gesagt hat. Die Substitution von fossilen Energien (Öl und Gas) sowie der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie bedeuten, dass der Strombedarf von heute rund 60 auf 80 bis 90 TWh steigen wird und deshalb die erneuerbaren Energieträger massiv ausgebaut werden müssen. Die Energiewende ist technisch machbar, das hat unsere Studie «Energiezukunft 2050» in Zusammenarbeit mit der Empa gezeigt. Sie bedingt jedoch gigantische Anstrengungen. Jetzt müssen die entsprechenden Massnahmen ergriffen werden. Mit dem in der Herbstsession verabschiedeten Mantelerlass hat die Politik einen grossen Schritt vorwärts in eine klimaneutrale Energiezukunft gemacht. Als Nächstes muss die Realisierung neuer Energieinfrastruktur – Produktionsanlagen wie Stromnetze – beschleunigt werden.
Welche Herausforderungen sehen Sie als zentral an?
Es gibt verschiedene grosse Herausforderungen, die unsere ungeteilte Aufmerksamkeit erfordern. Aus unserer Sicht zentral: Wir brauchen mehr Akzeptanz für neue Energieinfrastruktur, massiv mehr Tempo beim Ausbau der Stromproduktion; wir müssen Effizienz mehr Gewicht geben, die Stromnetze fokussiert weiterentwickeln, sie modernisieren und ausbauen und vor allem auch die energiepolitische Zusammenarbeit mit der EU regeln.
Von fossilen Brennstoffen will man aber nicht gänzlich Abschied nehmen.
Gaskombikraftwerke sind als Backup für Knappheitssituationen im Winter vorgesehen. Das gibt dem System mehr Resilienz und stärkt die Versorgungssicherheit. Kurzfristig müssten sie mit fossilen Gasen betrieben werden, mittel- und langfristig dann mit synthetischen Gasen und ab 2040 wahrscheinlich in grossem Stil mit grünem Wasserstoff. Bezüglich des Wasserstoffs müssen wir unbedingt unsere Hausaufgaben machen, damit wir das grosse Potenzial dereinst ausschöpfen können. Wenn wir die Erneuerbaren schneller ausbauen würden, könnten wir die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass auf kurze Frist fossil betriebene Backup- Kraftwerke zum Einsatz kommen müssen.
Die zunehmende Elektrifizierung führt in die Sektorenkopplung – wie ist der Stand hier Ihrer Einschätzung nach?
Für die Strombranche ist klar, dass wir vom Silodenken abkommen und alle Sektoren, insbesondere Strom, Wärme, Mobilität und Industrie, gesamtheitlich betrachten müssen. Das ist unerlässlich, um Entwicklungspfade für ein wirtschaftliches, nachhaltiges und zuverlässiges Energiesystem evaluieren zu können. So ist denn auch unsere Studie «Energiezukunft 2050» eine Gesamtenergiebetrachtung, die zudem über die Grenzen schaut und die Energieinfrastruktur und die Entwicklungen der Nachbarländer berücksichtigt.
Viele der Ausbauprojekte auf Ihrer Übersicht leiden unter etwas ganz anderem. Das Netz macht nicht mit.
Ja, die Stromnetze müssen modernisiert und punktuell verstärkt und ausgebaut werden, damit der Strom von neuen Produktionsanlagen auch abtransportiert werden kann. An vielen Standorten in den Alpen sind die Netzanschlüsse oder Netzkapazitäten gar nicht oder nicht ausreichend vorhanden, was mit ein Grund ist, weshalb viele PV-Alpinprojekte redimensioniert oder komplett aufgegeben werden. Darum ist es wichtig, dass wir auch die Netzinfrastruktur beschleunigt und parallel zum Produktionsausbau weiterentwickeln können. Es darf nicht sein, dass ein Stück Höchstspannungsleitung, das zentral ist für den Abtransport der Energie aus den Speicherseen, 36 Jahre dauert, wie das bei Chamoson–Chippis der Fall war. Wir müssen jetzt endlich ins Tun kommen, Tempo aufnehmen und an unserer Zukunft bauen.
https://www.strom.ch/de/politik/erneuerbare-energien-das-sind-die-ausbauprojekt
Michael Frank, 60, ist seit 2011 Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) mit Hauptsitz in Aarau. Er verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Elektrizitätswirtschaft.
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