Von den Lieferschwierigkeiten der Strombranche
Der gestern zu Ende gegangene Stromkongress unter dem Motto «Deliver!» verdeutlichte die Stimmung in der Branche: Sie will endlich liefern. Sonst droht die Zeit knapp zu werden.
Der gestern zu Ende gegangene Stromkongress unter dem Motto «Deliver!» verdeutlichte die Stimmung in der Branche: Sie will endlich liefern. Sonst droht die Zeit knapp zu werden.
Die Strombranche kämpft mit unterschiedlichsten Herausforderungen, von langsamen Bewilligungsverfahren bis hin zu unterschiedlichsten Bewertungen, wie das neue Energiesystem überhaupt ausgestaltet werden soll.
«Wir haben keine klare Vision des Gesamtsystems.» Benjamin Roduit, Walliser Nationalrat der Mitte, fasste das Problem prägnant zusammen. Im Politpodium zum Ausklang des ersten Stromkongresstages waren sich Thierry Burkart, Ständerat (FDP/AG), Jürg Grossen, Nationalrat (GLP/BE), Roger Nordmann, Nationalrat (SP/VD), und Benjamin Roduit in einem Punkt einig: Die Strominfrastruktur werde in den kommenden Jahren kritischer, als sie heute schon sei. «Alle brauchen Strom», sagte Thierry Burkart, die Netzfrage müsse man deshalb unbedingt angehen. Er rief die Kantone auf, ihre Regulationen anzupassen, etwa Trafostationen ausserhalb der Bauzonen zu erlauben. Dafür erntete Burkart verhaltenen Applaus aus der vollbesetzten Kursaal-Arena.
Im Verlauf der Diskussion war immer wieder die Leitmelodie des Tages zu hören, Bewilligungsverfahren zu vereinfachen und das Verbandsbeschwerderecht einzuschränken. Thierry Burkart: «Es geht um eine Schlüsselinfrastruktur unseres Landes!» Er plädierte für Kostenwahrheit als steuerndes Element und das Delegieren der Verantwortung an diejenigen, die Strom einspeisen: «Hat es zu viel Strom im Netz, kann man dafür nicht gleich viel Vergütung erwarten wie in Zeiten wenig Stroms.» Jürg Grossen möchte möglichst viel dezentral harmonisieren, sodass die Lasten gar nicht erst das Verteilnetz erreichten. Gut und schön für Thierry Burkart, der den «Gottesdienst nicht stören» wollte und dem eine Warnung folgen liess: «Die Politik hat ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht. Wir sind weit weg von der Versorgungssicherheit der Zukunft!» Es brauche weit mehr Produktion, die Schweiz könne sich auf Importe nicht verlassen, denn der Strombedarf werde weit stärker steigen als heute prognostiziert. Jürg Grossen hielt die grossen Effizienzgewinne heute und in Zukunft entgegen und illustrierte das mit dem grösseren Energieverbrauch der KI bei gleichzeitig besserer Leistung oder, anders gesagt: «Wenn ich zehnmal bei Google nachfragen muss und bei ChatGPT nur einmal.» Benjamin Roduit gebührte schliesslich wiederum das prägnante Schlusswort des Tages. Es brauche nicht nur intelligente Netze, sondern auch intelligente Verbraucher und Politiker.
Ausbauprojekte gelingen nur, wenn alle am gleichen Strick ziehen, wie die Praxisbeispiele am Nachmittag des ersten Stromkongress-Tages zeigen. Claudio Deplazes, Verwaltungsratspräsident der energia alpina, weiss: «Die meisten alpinen PV-Projekte scheitern am Volkswillen in den Gemeinden, das ist die erste Hürde.» Umso wichtiger sei es, die Stakeholder eines Projekts zu kennen und frühzeitig einzubeziehen. Aber auch das bringt keine Garantie für eine reibungslose Planungsphase, wie das Beispiel Morgeten Solar zeigt. Der dortige Projektleiter Peter Stutz berichtet von Stakeholdern, die frühzeitige Gespräche verweigern, nur um später den Rechtsweg einzuschlagen. Auch das Wasserkraftprojekt Gornerli in Zermatt steckt trotz grosser lokaler Akzeptanz mitten im Hürdenlauf der Bewilligungsverfahren fest, wie Gemeindepräsidentin Romy Biner-Hauser berichtet. Sowohl in Morgeten als auch in Zermatt heisst die aktuelle Hürde Umwelt- und Landschaftsschutz. Jacques Mauron, CEO Groupe E, nennt im Podium eine weitere Hürde: die weit verbreitete NIMBY-Einstellung (not in my backyard).
Was also braucht es, damit die Projekte dennoch zu einem erfolgreichen Abschluss kommen? Die Antwort heisst Durchhaltewillen und Zusammenarbeit, aber auch ein gesunder Humor schadet nicht. «Man soll die Flinte nicht zu rasch ins Korn werfen», meint denn auch Martin Simioni, CEO SAK. Gerade in Bezug auf Wind gilt es zudem, hartnäckige Mythen aus dem Weg zu räumen, wie Margarita Aleksieva, Leiterin Wind & Solar bei BWK, betont. VSE-Präsident Martin Schwab fasste in einem Podium zusammen: «Die Mehrheit steht hinter den erneuerbaren Energien. Es reicht aber eine abstruse Umweltsplittergruppe, um ein Projekt zu verzögern.» Er forderte ein «qualifiziertes Verbandsbeschwerderecht», also gewisse Anforderungen an eine NGO, die Beschwerde führen möchte. «Sonst gehen viele Projekte einfach nicht weiter.»
Sind die Netze überhaupt ein Flaschenhals bei der Weiterentwicklung zu einer dezentralen, digitalen und dekarbonisierten Stromversorgung? Turhan Demiray, Direktor des Research Center for Energy Networks der ETH Zürich, verschaffte den Kongressteilnehmenden einen Überblick über die Erkenntnisse aus unterschiedlichen Studien, die mehr als 60 Verteilnetze in unterschiedlichen Versorgungsgebieten mit realen Netzdaten zugrunde haben. Die Resultate zeigen in vielen Netzgebieten hohe Rückspeisungen in die übergeordnete Netzebene. Diese seien grösser als die jeweiligen Einspeisungen im Starklastfall. Die Gleichzeitigkeit sei zudem höher als die Lasten: «Das verstärkt den Effekt auf Netzbelastung und -ausbau».
Die Studien zeigten auch deutlich positive Effekte durch ein PV-Einspeisemanagement. Dabei würde eine 30-prozentige Begrenzung der Spitzenleistung weniger als drei bis vier Prozent der jährlichen PV-Erzeugung in der Schweiz ausmachen. Ebenso zeigt Demirays Auswertung: «Die Lastverschiebung zu den Zeitpunkten maximaler PV-Einspeisung kann die Netzausbaukosten senken.» Auch dem Problem der erhöhten Spannungen besonders durch den PV-Ausbau in ländlichen Gebieten könne man beikommen. Demirays Empfehlungen an die versammelten Vertreterinnen und Vertreter der Strombranche: Einspeisemanagement für PV-Anlagen, Lastreduzierung und -verschiebung durch angepasstes Kundenverhalten und Digitalisierung, Spannungsprobleme durch Q(U)-Regelung und regelbare Ortsnetztransformatoren eindämmen sowie den netzdienlichen Einsatz von Flexibilitäten wie Batterien durch dynamische Netztarife fördern.