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Grünes Gold (Satire)

Die Schweiz, weitum bekannt für politische Einsprachen, Senioren-GA und klimaneutrale Bankkonten, hält uns bei jeder Gelegenheit ihr Lieblingsbaby unter die Nase – die grüne Ökonomie. Stets frisch gewaschen und gepudert, natürlich. 

Wer aber einen Blick hinter die PV-Fassade der modernen Klimahelden wagt, entdeckt uralte Verhaltensmuster. Die Cleantech-Elite tanzt den gleichen Tango Korrupti wie einst die fossilen Giganten, nur mit Bio-Einstecktuch in der halbseidenen Frack-Brusttasche.

Apropos Frack: Als kürzlich Viktor Oktan, Ex-Ölbaron und Erfinder des «Fracking-Frappuccino», verkündete, er habe «weissen» Wasserstoff im tiefen geologischen Untergrund von Siphon Valley entdeckt, jubelten selbst die klebrigsten unter den Klimaaktivisten. «Natürlich! Sauber! Unendlich!», brüllte Viktor von einer Bühne aus recycelten Ölfässern, während die Kameras der Medienvertreter im Stakkato klickten und Ingenieure im Hintergrund nervös Methan-Sensoren checkten.

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Halb erneuerbar

Wasserstoff ist heute in einer fast kompletten Farbpalette erhältlich. Seit neuestem gibt es den «Champagner der Energiewende» (Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert) auch im Cuvée-Verschnitt «Halbgrün». Und das kam so: In einer bahnbrechenden Innovationsleistung, die selbst Alchimisten vor Neid erblassen liesse, präsentierten die Betreiber der KVA ThermoEcoGlow stolz ihren neuesten Coup: das halb erneuerbare H2 – zur Hälfte so rein wie ein Schweizer Gewissen.

Das Verfahren? So genial wie simpel: Im Kehrichtverbrennungsofen wird zunächst hundskommuner Hausmüll verfeuert – also McDonald’s-Pappboxen, Plastikspielzeug, die Liebesbriefe Ihrer Ex –, um damit eine Dampfturbine anzutreiben. Da die Hälfte des Kehrichts laut Statistik «biogenen» Ursprungs ist (will heissen: Das verschimmelte Joghurt von 2021 zählt als erneuerbar), darf auch der daraus produzierte Strom offiziell als «50% erneuerbar» deklariert werden. Damit werden nun grössere Mengen an zertifiziertem Gebirgs-H2O in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Der Clou: Nur die gute Hälfte des Stroms fliesst in die Elektrolyse – die andere Hälfte, gespeist aus PVC, Halogenlampen und alten Gartenstühlen, wird diskret in den dunkelgrauen Teil der Bilanz verschoben.

Was zählt, ist das gute Gefühl

Und die Kunden? Grossabnehmer wie die Edelboutique-Kette EcoChic nutzen den Stoff bereits, um damit CO2-neutrale T-Shirts aus Plastikbaumwolle zu bügeln. «Wir wissen, dass der Wasserstoff zur Hälfte aus Müllstrom kommt», erklärt die Marketingspezialistin, «aber die andere Hälfte hat ein gutes Gefühl. Und das zählt doch, oder?»

Und die Politik? Deckt das Spiel, solange nur die Zuflüsse der Gemeindekassen klimaneutral überlaufen. Vielleicht besteht ja die wahre Innovationskraft der Schweiz darin, dass sie Nachhaltigkeit vollautomatisch in eine Gewinn- und Verlustrechnung aufspaltet.

Kein Zweifel: Die Energiezukunft liegt in der kreativen Prozent-Arithmetik. Als Nächstes plant ThermoEcoGlow die Herstellung von ÖkoPowerEnzym, gewonnen aus den Tränen von Heerscharen enttäuschter Klimaaktivisten – dieser Treibstoff wird dann zu 100% erneuerbar sein. Schliesslich ist Verzweiflung eine unerschöpfliche Ressource.

Broker des schlechten Gewissens

Doch selbst hierfür stehen Lösungen griffbereit. Meister der Seelentröstung sind natürlich die Klimazertifikate-Riesen, auch Broker des schlechten Gewissens genannt. Ein überregionaler Energiekonzern, nennen wir ihn Max-kW AG, verkaufte jüngst sein Gas-Portfolio als klimaneutral, dank kreativer CO2-Zertifikate zugunsten von Simbabwe. Die Werbung? Malerisch inszenierte Teakholzwälder mit glücklichen Spitzmaulnashörnern. Die Realität? 80% fossile Energien, versteckt in subtilem «Sustainability Reporting». Die Politprominenz? Lächelte in alle Kameras – man möchte ja nicht die Steuermillionen aus der Innovationsförderung riskieren.

Den CEO von Max-kW frage ich, ob er seine Mission darin sehe, minimale Emissionsziele mit maximalen Renditen zu verknüpfen. Knisternde Spannung in der Teppichetage. Sein Mund ist geöffnet, die streitlustig geblähten Nasenlöcher sind es sowieso. Alle Atemwege auf Durchzug. Die Ewigkeit einer Schrecksekunde blickt er mir stumm in die Augen, um dann endlich, endlich sein Schweigen zu brechen: «Na klar, wir retten die Welt – aber nur bei 20 Prozent Marge.»

Der Autor

Andreas Turner ist Kommunikationsspezialist und Inhaber der 2025 gegründeten Zero2050 GmbH. Seit rund 20 Jahren konzipiert, textet und produziert er mit Leidenschaft Print- und Online-Formate, namentlich im Energie- und Cleantech-Bereich. Mit dieser Kolumne reitet er sein Steckenpferd, die diskrete Satire.
 

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