Seit bald 30 Jahren engagiert sich das Kunststoff-Ausbildungs- und -Technologiezentrum KATZ für die Aus- und Weiterbildung von Fachleuten und für den Technologietransfer rund um Kunststoffprodukte.
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Frau Tsotra, in welche Richtung entwickelt sich die Kunststoffbranche?
Kunststoffe sind in unserer Gesellschaft unverzichtbar und haben sehr viele Vorteile. Sie sind leichter als viele andere Werkstoffe. Sie lassen sich effizient zu multifunktionalen Bauteilen verarbeiten und vereinfachen dadurch Produkte und Produktionsprozesse. Es braucht aber eine Änderung im Mindset, wie wir Kunststoffprodukte gestalten, wie wir sie produzieren, wie wir mit ihnen umgehen, aber auch wie sie entsorgt und wiederverwertet werden. Dabei heissen die grossen Themen Kreislaufwirtschaft, Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Wie soll das gehen?
Alles beginnt mit der Produktgestaltung. Wir entwickeln Produkte so, dass sie langlebig und reparierbar sind, möglicherweise sogar aufgerüstet werden können, damit sie länger benutzt werden. Wir verwenden recycelte Materialien, anstatt neue Materialien abzubauen. Wir optimieren die Produktionsprozesse, um die Energieeffizienz zu verbessern und den Produktionsabfall zu reduzieren. Die Digitalisierung kann dabei sehr hilfreich sein.
Welche Voraussetzungen braucht es dafür?
Um die Industrie zu überzeugen, braucht es genügend grosse Mengen sortenreiner Abfälle und gut funktionierende Sammelabläufe. Beim PET funktioniert das sehr gut, bei allen anderen Kunststoffen sind die Mengen zu klein oder die Sortenreinheit schlecht. Am KATZ setzen wir uns für Entwicklungen ein, um aus vermeintlichen Abfallstoffen neue Sekundärrohstoffe für die Produktion zu gewinnen. Wie das funktioniert, zeigen wir in der «KATZ-Kreislauffabrik», die wir gegenwärtig aufbauen. Wir arbeiten hier eng mit Fachhochschulen, Maschinenherstellern und Kunststoffverarbeitern zusammen. Damit vermitteln wir unseren Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern einen sehr aktuellen Stand der Technik.
Wäre es nicht besser, auf Einwegkunststoffe möglichst zu verzichten?
Die Idee, eine Verpackung nur ein einziges Mal zu verwenden, ist eine relativ junge Erfindung – und sie wird sich möglicherweise nicht lange halten. Dass wir dazu Materialien verwenden, die theoretisch fast ewig haltbar sind, ist absurd. Wenn Kunden mit ihren eigenen Mehrwegverpackungen in den Laden kommen, finde ich das deshalb sehr gut – und vielleicht lässt sich das System ja noch verbessern. Man könnte Mehrwegverpackungen entwickeln, die den Food-Waste in ähnlichem Masse reduzieren, wie es heute die Einwegverpackungen tun. Es gibt dazu jedoch noch einige Aufgaben im Bereich der Logistik und der Hygiene zu lösen.
Wie stark ist die Abhängigkeit von der Ölindustrie?
Erdöl ist zurzeit eine unserer wichtigsten Energie- und Rohstoffquellen. Die grössten Verbraucher von Öl sind die Transporte und die Heizungen. Nur ein kleiner Anteil wird für die Kunststoffindustrie eingesetzt. Erdöl wird bereits heute für gewisse Kunststoffe durch Biomasse ersetzt. Die chemische Aufbereitung zu Kunststoffen bleibt energieintensiv, wobei Erdöl auch hier die wichtigste Energiequelle bleibt. Die grösste alternative Ressource ist der Abfall, entweder aus der Fabrikation oder nach dem Konsumenten, sogenannt Post-Production oder und Post-Consumer. Vielleicht werden wir künftig Mülldeponien wieder umgraben, um Kunststoffe und andere Wertstoffe herauszuholen.
Sollte man denn nicht auch mehr reparieren?
Die Reparaturfähigkeit ist ein sehr grosses Thema in der Industrie. Mittlerweile werden viele Methoden und Konzepte entwickelt, um defekte Teile zu reparieren, statt sie auszutauschen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Firma Patagonia, die hochwertige Kleidung und Outdoor-Ausrüstung herstellt. Sie garantiert, dass ihre Produkte eine gute Leistung und Lebensdauer haben und dass sie «zu jedem Zeitpunkt» repariert werden können, sollte einmal etwas kaputtgehen. Gerade die jüngere Generation ist für solche Ideen sehr empfänglich. Wir fördern das auch stark in unseren Kursen.
Reparaturfähigkeit müsste ohnehin ein grosses Thema sein bei den sehr dauerhaften Verbundwerkstoffen?
Viele Kunststoffprodukte sind fast unbegrenzt haltbar, denken wir nur an Bootsrümpfe oder grosse Elemente an Flugzeugen. Hier geht es vor allem darum, dass sie besser reparierbar werden und dass sie am Ende der Nutzungsdauer besser entsorgt oder dem Rohstoffkreislauf zugeführt werden können. Das sind grosse Herausforderungen, denen sich zum Beispiel auch junge Start-ups wie CompPair widmen, die «heilbare» Kunststoffe entwickeln.
Wie welchen Einfluss hat Ihre Arbeit als Forscherin auf Ihre Kunst?
Materialien und Kunststoffe haben immer auch mit meiner Arbeit als Künstlerin zu tun. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Materialität, das Verhalten der Materialien. Früher lag mein Arbeitsschwerpunkt bei den Faserverbundwerkstoffen. Die müssen nach aussen immer perfekt sein – ob als Flugzeugteil, Autokarosserie oder High-Tech-Fahrrad. Das erreicht man mit Formen und präzisen Produktionsschritten. Eine Idee ist es, diese Materialien aus ihrem Zwang der Form und der Perfektion freizulassen und zu schauen welche eigenen Existenzen, Charaktere und welches Eigenleben sie in Freiheit bilden.
Sie sprechen dabei von Serendipität. Was heisst das genau?
Das Serendipitätsprinzip, bezeichnet eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist. Es gibt viele Ding die so entdeckt wurden. Alexander Fleming hat das Penizillin nur entdeckt, weil er ihn seinem Labor unsauber gearbeitet hat und eine Probe lange herumliegen liess. Solche Situationen gibt es auch mit Kunststoffen und man kann sie teilweise auch provozieren.
Ein anderes Konzept ist der Umgang mit Materialien im Lauf der Geschichte. Wie sieht das genau aus?
Jeder Entwicklungsschritt der Menschheit hatte ihre Materialien, nach denen sogar ganze Epochen benannt sind, wie die Steinzeit oder die Bronzezeit. Der Grossteil der technologischen Errungenschaften der Menschheit manifestiert sich nach langer wissenschaftlicher Forschung mit dem Ziel einer konkreten, Anwendung. Carbonfasern und Verbundwerkstoffe wurden entwickelt, um den hohen Anforderungen der Luft- und Raumfahrtindustrie gerecht zu werden. Inzwischen werden diese Technologien in einer Vielzahl anderer nützlicher Anwendungen, aber auch in unnötigen, luxuriösen Designobjekten eingesetzt. Technologie scheint oft untergraben und missbraucht zu werden, nur um unser Verlangen nach materialistischem Vergnügen zu befriedigen. Ausserdem hinterfrage ich, wie Technologie und Tradition aufeinandertreffen, aufeinanderprallen und scheinbar verschmelzen können.
Wie sieht das konkret aus?
Für das Projekt I Have Seen All These Before (2016) habe ich mit einer Weberin zusammengearbeitet, die in einem kleinen Dorf im Pindos-Gebirge in Griechenland lebt. Ich beschaffte Karbon-, Glas-, Aramid- und Flachsfasern. Das sind alles typische Fasern, die in Verbundwerkstoffen eingesetzt werden. Ich bat sie, mit einem traditionellen Holzwebstuhl einen Stoff zu weben. Das Design wurde aus traditionellen Mustern ausgewählt. Die Weberin musste sehr gut geschützt arbeiten, da ausser Hanf all diese Fasern für den menschlichen Körper gefährlich sind. Letztlich entstand ein giftiger Teppich aus Materialien, die in der heutigen Welt unverzichtbar sind und die in der Energie- und Klimawende eine wichtige Rolle spielen.
Mittlerweile befassen Sie sich als Forscherin viel mehr mit thermoplastischen Kunststoffen, die sich beliebig oft einschmelzen und zu neuen Gegenständen formen lassen. Wie fliess das in Ihre Werke ein
Hier geht es immer auch um das Konzept der Transformation. Man formt immer wieder etwas Neues draus. Was macht das mit den Materialien – und mit uns? So gibt es das Konzept der inneren Spannung. Wenn ein thermoplastisches Teil in einer Form abkühlt, können innere Spannungen entstehen, die aber erst mit polarisiertem Licht sichtbar werden. Äusserlich ist das Teil perfekt. Doch diese Spannungen können zum Versagen des Bauteils führen. Das ist wie beim Menschen. Hinter dem perfekten Äusseren stecken oft unsichtbare Spannungen. Das hat mit Traumata und Lebenserfahrung zu tun und ist eine Korrelation von Materialien und Psyche.
Sie befassen sich auch mit der «Demokratie der Dinge». Was heisst das?
Sind Gegenstände nur Gegenstände? Doch vielleicht sind sie ja noch mehr. Was machen Gegenstände, wenn man sie nicht mehr braucht und sich selbst überlässt? Graham Harman beschreibt das Konzept der drei Tische*: Für die meisten Menschen ist ein Tisch ist ein nützliches Möbelstück. Für einen Physiker ist er aber eine grosse Ansammlung von Atomen. Aber vielleicht hat er ja auch noch eine ganz andere, unbekannte Funktion. Ein nicht mehr benutztes Gartenhäuschen wird plötzlich zur Heimat von Insekten, Igeln, Vögeln und in unserer Vorstellung vielleicht sogar Geistern oder etwas anderes das wir gar nicht verstehen können. So entwickeln Dinge und Materialien ein Eigenleben, das vielleicht spannender ist als die ursprüngliche Funktion.
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