Die Gerichte widerlegen ein Vorurteil nach dem anderen. Windenergieanlagen haben es nicht leicht in der Schweiz. Gegen die meisten Projekte hagelt es Einsprachen, selbst wenn sich die Standortgemeinden mit grossem Mehr dafür entschieden haben.
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Interessanterweise sind die Gegner jeweils oft nicht jene Organisationen, die sich intensiv mit Ökologie und Nachhaltigkeit befassen wie WWF, Pro Natura oder Greenpeace, sondern Organisationen wie Paysage Libre, denen es weniger um die Natur an sich geht als um eine freie Aussicht. Sie stören Windenergieanlagen genauso wie Strommasten – alles, was sichtbar ist.
Ökologie versus Landschaftsschutz
Dagegen können unsichtbare Dinge noch so unökologisch sein, etwa unterirdisch verlegte Höchstspannungsleitungen, für die ein zwei Meter tiefer Graben und eine Baupiste so breit wie eine doppelspurige Autobahn nötig sind. Die Landschaftsschützer sind trotzdem dafür. Denn Landschaftsschutz ist absolut nicht dasselbe wie Umweltschutz oder gar Ökologie. Als Argumentation werden dann scheinökologische Gründe geltend gemacht – etwa die angebliche Gefahr von Windanlagen für Vögel. Solchen klassischen Nimby-Organisationen (Nimby = Not in my backyard = nicht in meinem Hinterhof) macht nun das Bundesgericht immer öfter einen Strich durch die Rechnung. Es hat in seinen Entscheiden von 2021 und 2022 die Argumentationen regelrecht zerzaust. So wird nun bei vielen Projekten das übergeordnete Interesse höher gewichtet als eine unverbaute Aussicht. Ebenfalls unhaltbar ist mittlerweile das Argument, Windanlagen seien eine Gefahr für Vögel. So sterben in der Schweiz jährlich 36 Millionen Vögel durch menschliche Einwirkungen: 30 Millionen durch Hauskatzen, 5 Millionen durch Glasscheiben, 1 Million im Verkehr und 20 Stück pro Jahr und Windanlage, insgesamt 820. Die Messungen wurden zudem an Windanlagen ohne Radar gemacht, die sich bei Vogelzügen in der Nähe automatisch ausschalten.
Doch im Gegensatz zu Windanlagen ist für grosse Glasfassaden keine Umweltverträglichkeitsprüfung bezüglich Vogelverträglichkeit vorgeschrieben. Ebenfalls widerlegt ist das Argument der angeblich grossen Abfallmengen. Der nach 25 Jahren anfallende Kunststoffmüll ist pro versorgtem Haushalt kleiner als die Menge Hausmüll eines solchen Haushalts pro Monat. Zudem gibt es mittlerweile chemische Verfahren, die den Kunststoff von ausrangierten Windturbinenflügeln wieder in die petrochemischen Ausgangsstoffe zurückverwandeln und die Glas- und Kohlefasern weiterverwenden. Bei neueren Windanlagen sind diese Rezyklierprozesse bereits in die Chemie der Kunststoffe miteingebaut, sodass die Wiederaufarbeitung zu Kunststoff-Rohstoffen schneller und mit wesentlich weniger Energieaufwand funktioniert.
Brachliegendes Potenzial
Damit gibt es in der Schweiz immer weniger juristische Möglichkeiten und ökologisch fundierte Gründe, um den Bau von Windparks um Jahre zu verzögern. Damit sollte die Technologie endlich in Fahrt kommen. Insgesamt waren in der Schweiz Ende 2020 nur 41 Grosswindanlagen in Betrieb mit einer installierten Leistung von insgesamt lediglich 81 Megawatt. Das entspricht ungefähr der Leistung eines Flusskraftwerks im Rhein zwischen der Aaremündung und Basel. Allerdings werden diese Windanlagen nicht so viel Strom liefern wie ein Flusskraftwerk, weil der Wind nicht so gleichmässig bläst, wie die Flüsse Wasser liefern.
Auf der anderen Seite ist das Potenzial der Schweizer Wasserkraft schon seit den 1970er-Jahren weitgehend ausgereizt. Verbesserungen sind nur noch hinter dem Komma möglich. Das Windpotenzial dagegen ist noch praktisch ungenutzt. Unser Nachbar Österreich hatte bei doppelter Landesfläche und etwa gleich grosser Bevölkerung und ähnlicher Topografie schon 2015 mehr als 1000 Windanlagen in Betrieb – so viele, wie die Schweiz erst für 2050 anpeilt. Es könnte also deutlich schneller gehen – allein schon, wenn jene 300 konkreten Windprojekte, die gegenwärtig auf Gerichtsentscheide warten, endlich gebaut werden könnten.
20-mal so viel Leistung in Baden-Württemberg
Wie stark die irrationalen Bremser hierzulande sind, zeigt nicht nur ein Blick auf die Nachbarländer, sondern vor allem auch auf die Nachbarregionen, die etwa gleich gross sind wie die Schweiz. So hat die französische Region Bourgogne-Franche-Comté an der Nordwestgrenze der Schweiz knapp 10-mal so viel installierte Windleistung wie die Schweiz; Baden-Württemberg an der Nordgrenze sogar 20-mal die Leistung der Schweiz. Insgesamt wurden in Europa allein im Jahr 2020 trotz Pandemierestriktionen Windkraftanlagen mit mehr als 14 Gigawatt Leistung installiert. Das entspricht der installierten Leistung von elf Leibstadt-Atomreaktoren und der gesamten Stromproduktion von zwei Leibstadt-Reaktoren. Dagegen ist in Europa in den letzten 15 Jahren nur ein einziger Kernreaktor neu in Betrieb gegangen, zwei weitere sind im Bau. Windenergie kann deshalb sehr viel schneller sehr viel mehr Strom sehr viel billiger liefern als Kernenergie, die Anfang 2022 von rechtsbürgerlichen Parteien wieder ins Spiel gebracht wurde. Des Weiteren sind Windparks einfacher zu finanzieren, zu bauen und zu betreiben.
Ein weiterer wichtiger Vorteil von Windkraftanlagen ist, dass zwei Drittel der Windenergie im Winter und in der Nacht anfallen, was das Speicherproblem entscheidend entschärft und Windanlagen für die Schweiz zusätzlich attraktiv macht, weil sie auf diese Weise den durch die Abschaltung von thermischen Kraftwerken wegfallenden Bandstrom ein gutes Stück weit kompensieren können. Aufgrund dieser Charakteristik spart jeder in die Windenergie investierte Franken laut dem Branchenverband Suisse Éole fünf Franken Investitionen in Produktions- und Speichertechnologien für andere Systeme. Wichtig ist, dass dieses Geld aber in reale Anlagen fliessen kann und nicht in juristischen Scheingefechten über Aussicht und Sichtbarkeit von Rotoren verpufft.
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