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Himmlischer Bruder
Stromproduktion

Himmlischer Bruder

Über Windenergie wird noch zu wenig gesprochen, scheint es. Immerhin soll sie besonders im Winter als Ergänzung zur Solarenergie einen wichtigen Beitrag zum neuen erneuerbaren Energiesystem leisten. Woher der Wind weht.

Don Quijotes Kampf gegen die Windmühlen, die feindlichen Riesen: Diese Gedankenverbindung macht der Betrachter eines Windrades unwillkürlich, wenn er unter einem dieser Giganten der Energieproduktion steht, für dessen Rotorblätter sogar eigens ein Frachtflugzeug, der «WindRunner», konzipiert wird. Je nach vorgesehenem Standort erreichen die drei Rotorblätter aus glasfaserverstärktem Kunststoff oder Kohlenstofffasern einzeln eine Länge von bis zu 115 Metern (z.B. im Meer) bei einem Gewicht von bis zu 60 Tonnen. Hiesige Anlagen fallen mit rund 65 Metern bei 25 Tonnen nicht ganz so imposant aus.

Wie die Windmühlen des traurigen Ritters ihre Arbeit als Alternative zum Wasserrad in trockenen Zeiten mithilfe der himmlischen Bewegungsenergie verrichteten, sind heute Windkraftanlagen oder – im grossen Massstab – Windparks eine Ergänzung zur Stromerzeugung mit Wasser und Solarenergie. In der Nacht und im Winter luftet’s eher mehr als im Sommer, wenn Solaranlagen ihre Spitzenerträge erzielen. Doch die Schweiz ist noch Windentwicklungsland.

Der Beitrag der Windenergie 

Die ältesten Windmühlen sind aus Persien, Tibet und China bekannt, in Europa seit dem 12. Jahrhundert. Die Anfänge der Stromerzeugung mittels Windenergie datieren aus dem Jahr 1883: In der internationalen Elektrizitätsausstellung in Wien stand die Anlage eines österreichischen Ingenieurs. Nur vier Jahre später betrieb ein Schotte die Beleuchtung seines Ferienhauses mit einem Windgenerator. Den grossen Durchbruch schaffte die Produktion nicht.

Erst in den 70er- Jahren des letzten Jahrhunderts im Zuge der ersten Umwelt- und Energiedebatten nahmen die Windenergienutzung und die damit verbundene Forschung Schwung auf. Einen besonders grossen Anteil hatten seit jeher dänische Forscher. Entsprechend ist Dänemark das Land mit dem grössten Windkraftanteil: 56 Prozent sind Rekord. In der Schweiz ist naturgemäss das Potenzial grösser als die Zahl der Windräder: 47 sind es nämlich. Die installierte Leistung ist 2023 auf 169 GW gestiegen. 

Die ältesten Windmühlen sind aus Persien, Tibet und China bekannt.

Noch wenig, denn: Eine Studie von 2022 im Auftrag des Bundesamts für Energie schätzt den möglichen jährlichen Ertrag von Schweizer Windkraft auf 29,5 Terawattstunden (TWh), mehr als die Hälfte davon im Winterhalbjahr. Theoretisch könnte also fast die Hälfte der jährlichen Schweizer Stromproduktion dem Wind entnommen werden. Wenn nur 1000 Windenergieanlagen gebaut würden, entspräche dies laut den Zahlen einer Produktion von rund 9 TWh Windstrom pro Jahr – fast 6 davon im Winter.

Finanzgetriebener Ansatz 

Neu im Schweizer Windgeschäft ist die Zuger MET Group, derzeit an der Planung für neue Windkraftwerke im Wallis. Sie hat das Windpotenzial der Schweiz selbst untersucht und festgestellt: Die Schweiz verfügt über ein beachtliches Windkraftpotenzial. Die speziellen Wind- und Wetterverhältnisse seien für Windturbinen im Mittelland zwischen Jura und Alpennordseite, in den Föhntälern nördlich der Alpen oder entlang der Alpenpässe ertragsreich. Häufig windet’s, wenn die Rotoren im Ausland bereits wieder langsamer drehen und Importe keine Alternative sind. Das macht den so produzierten Strom besonders wertvoll. Die MET Group wird vom Wind der Energiemärkte getrieben. Christian Hürlimann, CEO der Renewables-Sparte, früher bei der Energieversorgerin EKZ tätig, sagt dazu: «Windstandorte können zur Diversifikation des Produktionsmix und zur Werthaltigkeit des erzeugten Stroms führen.»

«Windstandorte können Strom wertvoller machen und den Produktionsmix erweitern.»

Christian Hürlimann, CEO Renewables, MET Group

Der Blickwinkel seines Unternehmens ist ein anderer als jener eines klassischen Energieversorgers. Es will Strom herstellen, der sich zum besten Preis verkaufen lässt. Ein Standort muss deshalb viele Faktoren erfüllen. Wind ist nur einer von vielen. Trotzdem ist für Hürlimann klar: «Die Schweiz hat viele optimal wertige Windstandorte.» Gleichzeitig weist er aber auf eine Besonderheit der Schweiz hin. Sie braucht nicht nur eine Produktionstechnologie, sondern einen Mix aus vielen, die sich in ihren Charakteristiken ergänzen. «Wind gehört ganz klar zur Familie», sagt er, «es ist der Bruder der Solarenergie.»

Um geschmeidig in den Wind zu gehen, setzt er auf Standorte, die bereits erschlossen sind, denn die Diskussion um einzelne Technologien sei schwierig. «Das Energiesystem heute ist komplex und nicht mehr nur einspurig wie früher. Die Variablen sind umfangreicher. Man kann auch als Versorger mit seinem Produktionspark nicht einfach mehr nur den Nachfrageprofilen nachfahren.» Die neue Marktlogik sei eben nicht nur eine technische, sondern auch eine finanzielle – Bandstrom, wie ihn etwa ein AKW erzeugt, sei da kaum mehr vollständig integrierbar. Gerade weil die Zahl der variablen erneuerbaren Produktionseinheiten, wie zum Beispiel Solaranlagen auf Dächern, stetig zunimmt. «Dadurch nimmt die Wertigkeit von Bandstrom auf dem Markt deutlich ab.» Oder anders ausgedrückt: Zu gewissen Zeiten müsste solcher Strom bei Produktionsüberhang verschenkt werden.

Vorbehalte entkräften 

Kein einfaches Unterfangen, so ein Energiesystem, bei dem unterschiedlichste Technologien unterschiedlichste Widerstände erzeugen. Um die Windenergie ranken sich viele Mythen und Halbwahrheiten (siehe Kasten). Der technologische Fortschritt hat viele bereits entkräftet. Auch schwächere Winde können heute weit besser als früher ausgenutzt werden. Das hat auch die Windkraft im kleinen Massstab gefördert (siehe Interview).

Vielleicht braucht es in Zukunft nicht für jede Produktionsart einen eigenen Standort. Kombinierte Erzeugungen könnten im Vordergrund stehen, die sich ergänzen. Das wird heute bereits in der Wärmeversorgung realisiert, etwa mit Heizzentralen auf Holzschnitzel- und anderen auf Abwärmebasis. Sogenannte «hybride Standorte» sind für Christian Hürlimann die Zukunft. Hier arbeiten Wind- und Solarkraftwerke gemeinsam und teilen sich einen Netzzugang. So können bestehende Kraftwerke ausgebaut und für die Zwischenspeicherung von Überschüssen mit Energiespeichern ausgestattet werden – alles am selben Standort. «Noch sind nicht alle Märkte regulatorisch dafür bereit», sagt Christian Hürlimann.

Bis es so weit ist, werden die Riesen mit den Rotoren alleine stumm in der Landschaft drehen und Sancho Pansa seinen Ritter auf die Realitäten des Lebens aufmerksam machen, das künftig mehr Strom denn je braucht.

MYTHEN ZUR WINDENERGIE

Die Schweiz hat zu wenig Windstandorte. 
Der Windatlas Schweiz zeigt es: Die Schweiz hat viele Standorte. Ertragsreichen Wind gibt’s nicht nur im Jura oder auf bestimmten Hügelkämmen. Die einzelnen Standorte ergänzen sich und ergeben in der Summe besonders im Winter den Ausgleich zu fehlendem Solarstrom.

Windräder sind laut. 
Windkraftanlagen erzeugen Geräusche durch die mechanischen Teile und durch die Aerodynamik, also die an den Rotoren vorbeziehende Luft. Während die Geräusche der technischen Komponenten gut abgeschirmt werden können, sucht man durch die Optimierung der Rotorblätter eine Senkung der durch die Luft erzeugten Geräusche. Der immer wieder kritisierte Infraschall (Frequenzen tiefer als 17 Hertz) ist allgegenwärtig in unseren Lebensräumen. Insgesamt wird die Lautstärke auf 30 bis 50 dB eingeschätzt – leiser als eine Unterhaltung.

Windräder beeinflussen das Klima. 
Die Rotorblätter verwirbeln und vermischen an ihrem Standort die Luftschichten. Sie bremsen den Wind. In Bodennähe erwärmt sich die Luft. Forschende sind sich uneinig, ob riesige Wind- oder auch Solarparks einen Einfluss auf das globale Klima haben könnten. Wenn überhaupt, dann viel geringer als das Verbrennen von fossilen Energieträgern.

Windräder schaden Fledermäusen und Vögeln. 
Die Betreiber von Windkraftanlagen müssen auf die Tiere Rücksicht nehmen. Mithilfe von Sensoren und KI werden die Rotoren bei Annäherung ausgeschaltet.

Windkraftanlagen senken den Immobilienwert. 
Eine gross angelegte Studie von Wüest Partner 2019 im Kanton Thurgau konnte einen Effekt auf die Immobilienpreise nicht beweisen. Falls es in der Planungsphase von Anlagen zu Wertminderungen kommt, wären diese wohl nur kurzfristig.

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